ARTE TV: Evolution Cyborg_

ARTE Dokumentation: Evolution Cyborg:
Auf dem Weg zur Mensch-Maschine
Filmmusik zusammen mit Tilmann Höhn

*Dienstag, 25. Juli 2006 um 17.30 Uhr*

Mehr Hirn für Maschinen

Sind wir auf dem Weg zum computergesteuerten Menschen oder werden die Maschinen menschlicher? ARTE sprach mit Peter Fromherz, der 1991 den ersten Neurochip entwickelte – und realistische Ziele hat, jenseits aller Science Fiction.

Gehen, sehen, hören – dank unseres Nervensystems können wir die Signale der Umwelt und unseres Körpers aufnehmen, verarbeiten und optimal darauf reagieren. Aber kann auch ein Computerchip die Übermittlungsfunktion der Nervenzelle übernehmen? – Die Antwort lautet: Ja, der Neurochip. Der Neurochip verbindet lebende Nervenzellen mit einem Siliziumchip und ermöglicht die Reizung lebender Zellen durch computergesteuerte Impulse. Eine bahnbrechende Entwicklung und Anlass für viele Spekulationen.

ARTE: Die Kontrolle über den Körper zu besitzen ist ein alter Menschheitstraum und ein aktuelles Thema. Sehen Sie Ihre Forschung damit in Verbindung?
Peter Fromherz: Es gibt so viele interessante Wissenschaften, warum gerade wir so oft in den Medien erscheinen, ist mir ein Rätsel. So ist es etwa völlig unrealistisch, mit Computerchips die Wahrnehmung beeinflussen zu können. Ich glaube, Science-Fiction-Schreiber haben zu dieser Mythologisierung beigetragen, denn unsere Forschung ist ja eher ein komplexes Glasperlenspiel.

ARTE: In der Bionik ist die Natur ein Strukturmodell für Technik. Sie dagegen verbinden lebende Zellen mit Siliziumchips. Ist für Sie die Natur auch ein Vorbild?
Peter Fromherz: Bisher war es ja so, dass irgendein Bastler etwas erfunden hat, ohne darauf zu achten, wie die Natur ein ähnliches Problem löst. Kutschen oder Autos zum Beispiel funktionieren nicht wie ein Pferd. In der Bionik versucht man dagegen, auf Grundlage der Mechanismen, die die Evolution entwickelt hat, etwas Technisches zu konstruieren. Auch im Bereich der Computertechnologie ist das bionische Konzept vorstellbar: Man kann beispielsweise über die Möglichkeit nachdenken, ein System zu bauen, das Informationen verarbeitet wie unser Gehirn. Ich fände es reizvoll, ein Hirn zu konstruieren, das einerseits mit Elektronik und andererseits mit Hilfe von organischem Gewebe funktioniert. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

ARTE: Mit welchem Ziel begannen Sie Ihre Forschung?
Peter Fromherz: Als ich 1981 meinen ersten Lehrstuhl antrat, hatte ich keine konkrete Zielvorstellung wie etwa eine Neuroprothese* oder einen „Cyborg“*. Die Kopplung einer Nervenzelle aus dem Gehirn mit einem Computerchip hatte einen intellektuellen Reiz und das war vielleicht die ursprüngliche Motivation. Ich habe damals in einer Karikatur einen Computer mit einem Hirn verbunden. Die Idee dahinter war: Wie löte ich ein denkendes Hirn an eine rechnende Maschine?

ARTE: Der Neurochip ist also die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Wo kann er eingesetzt werden?
Peter Fromherz: Für den Neurochip sehe ich kurzfristig zwei Anwendungen: Auf der einen Seite ist er ein Werkzeug für die Forschung, um besser zu verstehen, wie das Hirngewebe funktioniert. Das zweite ist die Verwendung bei „Pharma-Screenings“: Man platziert Hirnzellen auf einem Chip und testet damit unter anderem Psychopharmaka. Das halte ich beides für nahe liegend.

ARTE: Und langfristig?
Peter Fromherz: Längerfristig gibt es noch die Perspektive, den Chip für Neuroprothesen einzusetzen. Außerdem fände ich es sehr reizvoll, mit Hilfe von Hirngewebe bessere Computer zu bauen. Das bedeutet natürlich nicht, dass man ein Hirn in einen Computer steckt, aber man könnte organisches – oder in Zukunft auch künstlich erzeugtes – Hirngewebe verwenden, um die Informationsprozesse, ähnlich wie sie im Gehirn ablaufen, auf technische Geräte anzuwenden. Das klingt im Moment vollkommen abstrus, aber langfristig halte ich das für einen wichtigen Schritt in der Forschung.

ARTE: Das wäre sozusagen das Gegenteil der Vision eines maschinell kontrollierbaren Körpers?
Peter Fromherz: Ja, und man kommt zudem nicht mit ethischen Problemen in Konflikt. Gerade für Ethiker sind unsere Forschungen schnell mit Risiken verbunden, obwohl es eine Mensch-Maschine ja gar nicht gibt. Wenn Sie Menschen manipulieren wollen, gibt es viel wirksamere Methoden: Dinge, die schon im Einsatz und wirklich gefährlich sind, wie zum Beispiel Neuropharmaka*. Ich sehe sie viel kritischer als Elektroden im Gehirn, aber darüber redet kein Mensch.

ARTE: Der Einsatz von Neurochips in der Humanmedizin interessiert Sie also weniger?
Peter Fromherz: Ich finde es spannender, beispielsweise mit organischem Material ein Gerät zu bauen. Die Herausforderung besteht darin, dass die Computertechnologie mit ganz anderen Materialien funktioniert als das Gehirn. Man kann sich auch fragen, warum wir die Geräte nicht gleich wie das Gehirn gebaut haben. In 100 Jahren wird man sich vielleicht überlegen, ob die ganze Elektronik nicht doch ein falscher Weg war…

ARTE: Welche Rolle spielt Ihre Forschung bei den Versuchen, Blinde durch elektrische Stimulation der Gehirnoberfläche visuelle Reize empfinden zu lassen?
Peter Fromherz: Seit Jahren wird vielerorts versucht, mit Chips eine künstliche Netzhaut zu bauen. Bisher gibt es keinerlei Erfolg – alles, was ein Blinder auf diese Weise sieht, ist ein heller Blitz. Aber ich glaube, dass unsere Chiptechnologie da eine große Rolle spielen wird, weil wir genau untersuchen, wie die Signale vom Chip in die Zelle oder von der Zelle in den Chip gelangen. Allerdings muss man noch viel mehr über die Funktionsweise der Netzhaut wissen, um sie richtig stimulieren zu können. Das ist sehr komplex und auch hier sind wir noch im Grundlagenbereich, aber wir arbeiten daran.

ARTE: In welchem Zeitraum halten Sie es für realistisch, dafür anwendbare Grundlagen zu schaffen?
Peter Fromherz: In Deutschland gab es vor zehn Jahren ein großes Projekt, da haben die Kollegen einem Geldgeber versprochen, dass in fünf Jahren der erste blinde Hund sehen würde. Der Hund sieht bis heute nicht, und auch der blinde Mensch nicht. Es ist eben doch schwieriger als man dachte. Ich halte das Projekt für sehr sinnvoll, für machbar aber in frühestens 15 Jahren.

ARTE: Werden Sie dann noch in Martinsried forschen?
Peter Fromherz: Nein, da werde ich nicht mehr forschen, ich habe nur noch drei Jahre. Vielleicht schreibe ich dann ein Buch und schaue mir an, wie sich die Nachfolger mit dem Krempel herumschlagen.

Das Gespräch führte Bettina Reichmuth

ARTE INTERVIEW

Prof. Dr. Peter Fromherz (geb. 1942) leitet als Biophysiker und Grundlagenforscher seit 1994 die Abteilung für Membran- und Neurophysik des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried bei München